Viele unserer Partner in der internationalen Politik und im Handel haben nicht unsere Vorstellungen von Werten und Freiheit. Joachim Gauck teilte mit den Gästen im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt seine Gedanken, wie wir damit umgehen können. Als ehemaliger evangelischer Pfarrer – von Berufswegen zuständig für die Moral – schob er einführend voran, habe er einen intensiven Wandlungsprozess vom Idealisten zum Realo vollzogen, je mehr er sich auf die Politik einließ.
Warum wir Werten und moralischen Faktoren eine überaus große Bedeutung beimessen, sieht Gauck historisch verwurzelt: „Die Bonner Demokratie hatte eines im Sinn: Wir wollen nie wieder werden wie die Deutschen zuvor. Wir werden ab jetzt für immer auf der Seite der Guten stehen.“ Das führte zu einer moralischen Leitkultur der Gutsein-Wollens. Um uns selbst zu vertrauen, müssten wir uns immer wieder neu den Nachweis erbringen, dass wir die Guten sind.
In der Außenpolitik bringe dieser Ansatz mitunter unbefriedigende Ergebnisse. „Aus einer starken Betonung von guten Werten resultiert nicht automatisch gute Politik.“ Deshalb, so Gauck, müssen wir die Frage über unser politisches und ethisches Selbstverständnis stellen. Wir müssen uns zwar nicht dafür schämen, dass wir eine wertebasierte Politik betreiben. Es muss jedem klar sein, wofür wir als liberale Demokratien stehen. Aber: „Es gibt gute Gründe, zu unseren Werten zu stehen, ohne, dass wir meinen, alle Welt mit unseren Werten missionieren zu müssen und so unseren eigenen Interessen zu schaden.“
Die Zeiten sind vorbei, sagte Gauck, in denen wir glaubten, man könne Werte einfach exportieren. Im außenpolitischen Alltag müsse man sich oft zwischen Schlechtem und weniger Schlechtem entscheiden. Rohstoffe, Energieversorgung, Absatzmärkte, Außenpolitik: Es bestehen viele Abhängigkeiten von anderen Ländern. „Wir sind gezwungen, auch mit denen zusammenzuarbeiten, deren Werte wir nicht teilen. Fast immer müssen wir Abstriche bei unseren Werten machen.“ Daher sollten Vertreter einer glaubhaften Wertepolitik ihre Entscheidungen in offener Abwägung von Werten und Interessen begründen können.
Katar zum Beispiel: Eine absolute Monarchie, die zudem die Hamas seit Jahren mit viel Geld unterstützt. Dennoch sei es unglücklich, den Besuch des Emirs in Deutschland mit lauter Kritik zu belasten, denn das Land habe großen Einfluss bei der Hamas und könne vermitteln. Für Gauck war es richtig, vor dem Emir zu dienern, denn Katar hat, was wir dringend brauchen – Erdgas. Die Existenz von monarchischen, kommunistischen, theokratischen und korrupten Regierungen sei real. Zugleich gebe es realpolitische Interessen. Bei allem Wertebewusstsein, so Gauck, sollten wir daher eine Überdehnung einer moralischen Politik vermeiden.
Interview mit Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck
Joachim Gauck im Interview über den Vorwurf, Deutschland betreibe Außenpolitik mit einem überhöhten moralischen Anspruch. Darüber, auf was für eine Welt wir uns angesichts aktueller Konflikte einstellen müssen und wie wir als Gesellschaft darauf reagieren können.