Prof. Olivier Blanchard, Ökonom am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist ein intensiver Beobachter der Inflation und ihrer Entwicklung in Europa und in den USA. Den Investorinnen und Investoren im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt präsentierte er eine Analyse der sehr unterschiedlichen Lage diesseits und jenseits des Atlantiks.
In den USA ist die Kerninflation das Problem: Hier überhitzt der Arbeitsmarkt, was die Lohndynamik antreibt, in der Eurozone ist das nicht der Fall. Umgekehrt liegt in Europa die Herausforderung in der Gesamtinflation, weil hier Rohstoff- und Energiepreise die wesentlichen Preistreiber sind, in den USA hingegen nicht. Im Ergebnis dürfte sich in den USA die Gesamtinflation in den kommenden Monaten entspannen, während die ohne Energie- und Lebensmittelpreise berechnete Kerninflation zu hoch bleiben wird. In der Eurozone ist es umgekehrt, die Gesamtinflation dürfte hoch bleiben, während die Kerninflation weniger ein Problem darstellt. Weil in den USA zugleich die Nachfrage sehr robust ist, muss die US-Notenbank Fed sehr viel tun, um die Konjunktur und damit die Inflation einzubremsen. Anders im Euroraum: Hier ist eine Nachfrageschwäche sehr wahrscheinlich, weil die steigenden Importpreise, vor allem für Energie, die Kaufkraft belasten. Also muss die EZB, anders als die Fed, die Nachfrage nicht weiter senken.
Bedeutet für die Zinsen: Die Fed wird gezwungen sein, sie hoch zu halten. Die EZB hingegen muss die Zinssätze möglicherweise nicht sehr stark anheben. Dabei könnte sie sich an die Zinserhöhung erinnern, die sie im Herbst 2008 als Reaktion auf steigende Energiepreise vorgenommen hat. Dieser Schritt wird weithin als Fehler angesehen, und die EZB wird darauf achten, dass sie ihn nicht wiederholt.
Blanchard ergänzte, er wäre nicht überrascht, wenn der Eifer der EZB nachlässt, sobald die Inflation etwa 2,5% erreicht. Andererseits besteht ein gewisses Risiko, dass Fed und EZB über ihr Ziel hinausschießen. Zwar wissen sie, dass die Zinspolitik erst mit einer zeitlichen Verzögerung wirkt. Gleichzeitig dürfen sie aber keinerlei Zweifel an ihrer Entschlossenheit zulassen. Andernfalls könnte dies die Inflationserwartungen beeinflussen und anheben. Blanchard: „Das müssen die Zentralbanken wie ein Adler im Auge behalten und entsprechend reagieren.“
Den steigenden Schuldenstand der Staaten sieht Blanchard differenziert bis entspannt: Wenn man gute Gründe hat, sollte man sich nicht scheuen, die Schulden zu erhöhen, zum Beispiel um Unternehmen bei hohen Energiepreisen zu helfen. „Zurück zu 60%-Schuldenquote werden wir ohnehin nicht mehr kommen, seien wir realistisch.“
Interview mit Prof. Olivier Blanchard
Prof. Olivier Blanchard im Interview über die weitere Entwicklung der Inflation, über den angeschlagenen Ruf der Europäischen Zentralbank und die Zukunft des Euros – könnte er zur Weichwährung werden?