Mit ihm trat außenpolitische Erfahrung auf die Bühne der Alten Oper Frankfurt, wie sie sonst kaum in einer Person anzutreffen ist: Wolfgang Ischinger, ein Vollblut-Diplomat. Schon in den 1970er-Jahren war er bei den Vereinten Nationen und im Auswärtigen Dienst tätig, unter anderem als Botschaften in Washington, London und Paris. Über viele Jahre war er international bekannt als der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, deren Stiftungsrat er seit diesem Jahr als Präsident vorsitzt. Am Morgen des Investment Fokus kam er direkt aus Washington, wo er sich einige Tage in Regierungskreisen bewegt und einen frischen Eindruck von der US-Außenpolitik mitgebracht hat.
Seine generelle Beobachtung: „Selbst in Washington herrscht Verunsicherung.“ Damit meinte Ischinger die Mid Term Elections Anfang November in den USA, die (in Anspielung an die Präsidentschaft von Donald Trump) „jene Kräfte wieder stärken könnten, die vor der letzten Präsidentenwahl geherrscht haben“. Seine Analyse: „Wir dürfen das Ausmaß dieser Zeitenwende, dieses Epochenbruchs, wirklich nicht unterschätzen!“ Diese Zeitenwende, ist Ischinger überzeugt, wird nicht auf Knopfruck oder mit einer Unterschrift unter einen Friedensvertrag vorbei sein. Vielmehr erleben wir das Ende der bisherigen Friedensordnung in Europa. Alles, betonte der Diplomat, was wir glaubten aufgebaut zu haben, ist in den letzten Monaten regelrecht zerfallen. „Es ist wirklich ernst.“
Ein Weg aus dem Ukraine-Krieg
Ischinger ist überzeugt: In Moskau wird erst die Bereitschaft zu Verhandlungen entstehen, wenn die Generäle zu der Überzeugung kommen, dass die militärischen Mittel ausgereizt sind und keine wesentlichen Erfolge mehr erzielt werden können. „Von diesem Zustand sind wir aber noch relativ weit entfernt.“ Genau aus diesem Grund befürwortet Ischinger, die Ukraine weiter so massiv wie möglich zu unterstützen. Die Hürden weiterzumachen, müssen für Russland möglichst hoch und schmerzhaft werden.
Die Sanktionen, sagte Ischinger, sind bis dahin unbedingt aufrechtzuerhalten. Sie werden später für die Ukraine und den Westen wichtig sein, um über die Modalitäten eines Waffenstillstands zu verhandeln und ein möglichst befriedigendes Ergebnis erzielen zu können. Das sahen auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so: Bei einer TED-Umfrage äußerten 67 Prozent im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt die Überzeugung, jetzt wieder Erdgas aus Russland zu beziehen, sei nicht akzeptabel.
Interview mit Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger
Wolfgang Ischinger im Inteview über die langfristigen politischen und wirtschaftlichen Folgen der viel zitierten Zeitenwende; über die Aussichten westlicher Demokratien im Wettbewerb mit autoritären Systemen; und über die Rolle der großen Emerging-Markets-Staaten in einer neuen geteilten Weltordnung.